Yoko Tsuno… als Anime?
Letzte Woche war ich an der Buchausstellung in Genf und habe ein paar gebrauchte Alben von Yoko Tsuno auf Französisch gekauft. Der Kauf hat sich gelohnt: Es ist eine tolle Abwechslung, neben Mangas wieder frankobelgische Comics zu lesen und in die eigene Kindheit eintauchen.
Yoko Tsuno von Roger Leloup gehört neben Spirou & Fantasio und Gaston zu den frankobelgischen Comics, die ich als Kind am liebsten gelesen habe. Die ersten Hälfte der Saga mit Bänden wie “Die dritte Sonne von Vinea” oder “Die Zeitspirale” zeugen von einem geübten Auge für technische Details von Leloups grossen Erzählreichtum. Yoko Tsuno gilt mittlerweile zurecht als einer der grosse Klassiker der Bande Déssinées.
Als Elfjähriger war ich besonders fasziniert von den SF-Fantasy Abenteuern rund um die blauhäutigen Vineaner und ihren Heimatplaneten Vinea. Es ist verrückt, wie gut ich mich nach zwanzig Jahren noch an einzelnen Szenen aus Alben wie “Die Titanen”, “Die Zeitspirale” oder “Die dritte Sonne von Vinéa” erinnere. Mit Überlichtgeschwindigkeit reisen, fremde Kreaturen entdecken, die weit fortgeschrittene Technologie der Vineaner bestaunen und benutzen, Zeitreisen machen, u.s.w. Das alles bieten diese Alben von Yoko Tsuno und dies für frankobelgischen Comics der damaligen Zeit auch auf ziemlich realistische Art und Weise. Dass die Heldin des Comics zudem eine hübsche und schlaue Japanerin ist, steigert das Lesevergnügen nur noch mehr.
Man kann sich nun die Frage stellen, ob ein Anime zu Yoko Tsuno existiert. Dem ist leider nicht so. Zwar wurden in den Achtzigern einige frankobelgische Comics in Co-Produktion mit Japan produziert (so etwa Cubitus, Alfred J.Kwak oder Boes), aber ausgerechnet zum Comic mit der tollen Japanerin gibts keine Anime-Umsetzung…. Wobei, Pläne für einen Anime schienen einmal existiert zu haben, und es wäre sogar ein toller Animator mit von der Partie gewesen. Das beweist ein Ausschnitt aus einer Ausgabe der Zeitschrift Animage (04/1998 – Sondernummer im Gedenken an Yoshifumi Kond?):
Die Skizzen stammen von Animator Yoshifumi Kond?, dem wir die tollen Character Designs und Animationen aus Animes wie Anne mit den roten Haaren, Das Grab der Leuchtkäfer, Kiki’s Delivery Service oder Only Yesterday verdanken. Yoshifumi Kond? war bis zu seinem frühzeitigen Tod 1998 einer der einflussreichsten Animatoren der jüngeren Anime-Geschichte und der Lieblings-Animator von Hayao Miyazaki und Isao Takahata. Ursprünglich hätte er bei Studio Ghibli das Erbe dieser beiden grossen Anime-Regisseuren übernehmen sollen, doch leider ist “Whisper of the heart” 1995 sein erster und einziger Anime-Spielfilm geblieben.
Wie genau fortgeschritten die unveröffentlichten Pläne für den Yoko-Anime waren, bleibt unbekannt. Auf Japanisch steht dort lediglich, dass es sich wahrscheinlich um Skizzen zu einer Figur aus einem englischen Comic (!) namens “Sparklady Yôko” (!!) handeln würde; ein Comic, deren Umsetzung bei Nippon Animation zur Zeit von Kond?s Anstellung in Planung war. Weitere Infos existieren, zumindest auf dem Internet, keine. Auf französischen Seiten ist nirgends von Plänen seitens der Japaner die Rede. Roger Leloup selbst verrät in einem Interview zwar, dass die S.E.P.P. (Société d’Edition, de Presse et de Publicité – eine Tochterfirma des französischen Verlags Dupuis) seit 1984 einen Trickfilm geplant haben soll, dass daraus letzten Endes jedoch nichts geworden sei. Die obigen Skizzen von Kond? dürften mit den Plänen der S.E.P.P. nichts gemein haben.
Hier beginnt das grosse Rätselraten und Spekulieren: Wie sind die Japaner eigentlich auf den Namen “Sparklady Yôko” gekommen? Wieso dachten sie, die Vorlage sei ein englischer Comic? Wann war der Anime in Planung, und was hätte da umgesetzt werden sollen?
Beim Titel und dem Herkunftsland hat vielleicht der japanische Journalist falsch recherchiert. Zu welcher Zeit der Anime in Planung gewesen war, falls überhaupt (siehe weiter unten), dazu gibt es nun zwei Möglichkeiten: Entweder zwischen 1978-80, als Kond? vom Studio A-Pro zu Nippon Animation stiess (für Hayao Miyazakis “Conan” und Isao Takahatas “Anne mit den roten Haaren” ), oder zwischen 1986-87, als er nach 5 Jahren Telecom Animation für “Eine fröhliche Familie” (Little Women) erneut bei Nippon Animation involviert war.
Schauen wir uns mal die Skizzen genauer an: Die Yoko links auf dem Motorrad und die rechts aussen sehen in etwa so aus wie die Yoko in Leloups frühen Alben: Sie trägt dieselben Kleider, denselben Hut und fährt auch dasselbe Motorrad (eine 125er Honda) wie in der Kurzgeschichte “der Trick mit den Bienen” (Erstveröffentlichung: Spirou Nr.1747, Oktober 1971) im Band “unter Hochspannung”.
Selbst ihre damalige Sixties-Frisur wurde 1:1 übernommen. Dem Gesicht nach zu urteilen sieht sie auch nicht wie eine klassische Animefigur aus, sondern eher so wie Leloup sich eine attraktive Japanerin ausgedacht hat. Besonders das Gesicht der Yoko auf der rechten Seite sieht deutlich asiatisch aus. Das Gesicht der mittleren Yoko hingegen sieht jetzt moderner und stärker nach Anime aus; fast ein bisschen so wie eine typische Miyazaki-Heldin, samt einer Sechzigerjahre-Frisur. Vielleicht waren die beiden ersten Zeichnungen tatsächlich noch Teil einer geplanten Umsetzung der frühen Alben, wohingegen das mittlere Bild erst später entstanden ist.
Es ist gut möglich, dass auch nie ein Anime von Yoko Tsuno in Planung war. Vielleicht ist Yoshifumi Kond? während einer Englandreise 1978 für die Produktion von Anne auf einen Band von Yoko Tsuno oder einer Ausgabe von Spirou gestossen, und Yoko könnte ihm dabei so sehr gefallen haben, dass er sie privat für sich selber gezeichnet hat. Kond? war jedenfalls bekannt als Vielzeichner, der hunderte von Skizzen angefertigt hat.
Nicht auszudenken jedoch, was Yoko Tsuno durch Kond?s grossen Animationskünste für ein qualitativ hochwertiger Anime geworden wäre. Kond? war ein talentierter Animator für subtile Körpersprache, besonders bei Kinderfiguren. Yoko als Anime-Figur mit ihm als Designer und Chefanimator wäre sicherlich grossartig ausgefallen. Ob das jedoch gut zu den strengen technischen Designs von Leloup Science Fiction-Welten gepasst hätte, ist nun eine andere Frage.
seltsam. yoko tsuno hat mich nie besonders interessiert – obwohl ich als kleiner fratz immer stunden im comicbereich der stadtbibliothek verbracht und die vielen comicalben mit freude verschlungen habe.
achja… meinst du nicht comichistoriker wäre ein passender beruf für dich? beste voraussetzungen hast du ja. bin gespannt auf dein erstes buch. ;)
Ich kann dem ersten Teil des Textes nur voll zustimmen. Spirou & Fantasio und Gaston vom großartigen Andre Franquin waren auch meine Lieblingscomics. Visuell haben mir bei Franquin immer diese kleinen Fussel gefallen, die er überall reingezeichnet hat, im Gegensatz zu Herge, wo alles wie geleckt aussieht. Schon deshalb finde ich aber Franquin schwer umsetzbar als Zeichentrick, denn für diese kleinen Fussel hat man meist weder Zeit noch Geld. Wie Disney das Marsupilami als Zeichentrickserie verwurstet hat, finde ich absolut grausam. Das liegt aber nicht nur am ganz anderen Zeichenstil, sondern auch am Inhalt, der sich nicht im geringsten an die Comicvorlage hält. Das Marsupilami spricht sogar ganz normal. Einfach nur schrecklich. Disney hat eine Ikone meiner Jugend durch den Fleischwolf gedreht.
Damals gab es zwar noch keine Tauschbörsen im Internet, geschweige denn öffentliches Internet, aber dafür Stadtbibliotheken, wie seto schon richtig anmerkt, und da habe ich so ziemlich jeden Comic herausgetragen, der nicht im Regal festgenagelt war, durchaus mehrmals täglich. Selbstverständlich habe ich sie auch immer wieder zurückgebracht, wenn auch öfters verspätet, sodass ich im Laufe der Jahre sicher über 100 DM dort gelassen habe. Ich erinnere mich noch an den verschimmelten Asterix-Band, den ich glücklicherweise noch am gleichen Tag gelesen und zurückgebracht habe. Selbst die Bibliothekarin war so einsichtig zu verstehen, dass sich dermaßen viel Schimmel nicht in weniger als 24 Stunden bilden kann.
Dass ich beim Lesen während einer Autofahrt in einen Band von “Tim & Struppi” gekotzt habe, tut mir immer noch leid. Ein bisschen. Auch wenn sich Herge-Comics durch den typisch klaren Zeichenstil visuell recht gut als Zeichentrickfilm umsetzen lassen, fand ich die Comics doch wesentlich besser. Die Zeichentrickserie und -filme habe ich allerdings auch erst Jahre später gesehen. Davor war ich immer ganz scharf drauf, allerdings hatten wir weder VHS-Gerät noch Kabelfernsehen.
US-Comics gab es in der Bibliothek fast nur in der Form von Carl Barks, also kein Superman, X-Men oder sonstigen Superheldentrash. An Manga war damals gar nicht zu denken. Das allermeiste waren frankobelgische Comics vorwiegend von Carlsen publiziert. Allein deshalb kann ich mich bis heute mit farblosen Manga, der oft auch wie dahingerotzt aussieht, nicht wirklich anfreunden. Der Vergleich ist vermutlich nicht ganz fair.
Yoko Tsuno habe ich ebenfalls in bester Erinnerung. Nicht nur weil Sie japanisch ist, auch der erwachsenere Zeichenstil und dadurch dass die Handlung oft im Weltraum bzw. auf einem anderen Planeten stattfindet, machten den Comic herausragend.
Eine Comic-Serie, die in etwa die gleiche Richtung geht, und die mir mindestens genauso gut gefallen hat, ist “Valerian & Veronique”. Zeitreisen in einer post-apokalyptischen Welt zu fremden Planeten mit obskuren Ausserirdischen und dazu eine furchtbar sexy Veronique, die alles andere als ein dumpfes Blondchen an Valerians Seite ist, das ist der Stoff, der mich als Jugendlicher begeistert und fasziniert hat.
Auch hier gab es Gerüchte um eine Animeumsetzung und wohl auch einen Trailer oder Prototyp. Allerdings verliert diese Serie, wie fast alle detailverliebten frankobelgischen Comics, meiner Ansicht nach ihren Charm durch 0815-Anime-Look. Bei einem guten Comic zählt eben nicht nur der Inhalt, sondern auch die Optik. Ein Comic ist ja kein Roman und die Zeichnungen nicht bloß Skizzen oder schmückendes Beiwerk.
Von daher bin ich eigentlich immer ganz froh, wenn es keine Zeichentrickumsetzung gibt. Besser finde ich es, wenn die Produzenten sicher nur inspirieren lassen, aber etwas Eigenständiges entwickeln. So ruhen sie sich nicht auf den Lorbeeren anderer aus und verwässern auch nicht die Kindheits- und Jugenderinnerungen.
@Seto
Comic-Historiker? Hmmm… wenn man von dem leben könnte. Aber die Schweiz hat bereits Cuno Affolter ^_^;
@Kurisu
Wow, was für ein langer Kommentar. Das gefällt mir!
Wir scheinen den gleichen Geschmack zu teilen. Mir hat Franquins Hang zum Ausschmücken seiner Zeichnungen mit kleinsten Strichen schon immer gefallen, dank ihm nennt man ja auch die Richtung dieser Art Semi-Funny Comics die “Marcinelle-Schule”. Demgegenüber steht die eher traditionelle Schule von Hergé.
Ein Äquivalent zu Franquin habe ich bei den Japanern bisher noch nicht gesehen, wobei Ashinano Hitoshi (Yokohama Shopping Trip) mit seinen Schraffuren für Schatten, Lichteffekte und Landschaften der Marcinelle-Schule noch am nächsten kommt.
Valérian & Véronique habe ich als Kind auch sehr gerne gelesen, aber im Gegensatz zu Yoko Tsuno kann ich mich ausser ein paar wenigen Bildern an keine bestimmte Handlung mehr erinnern. Bei Valérian & Véronique sind mir die kleinen Alien-Kreaturen mit den langen Schnauzen in guter Erinnerung geblieben und auch ein Quallenmonster, das am Ende einer Geschichte auftaucht.
Und ja, was ich vom geplanten Zeichentrick von Valérian & Véronique gesehen habe, überzeugt mich ebenfalls absolut nicht. Entweder es sieht wirklich aus wie die poetisch-esoterischen SF-Bildern der frankobelgischen Vorlage, oder man lässt es lieber gleich sein. Das Disney Marsupilami war grottenschlecht, da stimme ich dir völlig zu. Das war ein Betrug an der Originalkreatur von Franquin. Wenn ich mich recht erinnere, konnten weder Franquin noch Dupuis bei der Produktion mitreden. Die neuere Zeichentrickserie der Franzosen über die Abenteuer des Marsupilami macht ihn wieder zu einer stimmlosen Kreatur, aber auch die kommt schlicht nicht an den Charme des Originals von Franquin heran.
Meine frankobelgischen Comics habe ich mir ebenfalls aus der Stadtbibliothek besorgt. Das war für mich neben des Kiosks mit den Lustigen Taschenbüchern und MAD/Clever & Smart die einzige Quelle für Comics. Neben den obengenannten Bande Déssines habe ich auch ganz gerne die Satirebände “Fluide Glacial” von Gotlib gelesen. Ich verstand Gotlibs Humor nicht so ganz, dafür war ich zu jung, aber ich mochte die schrägen Grimassen seiner Figuren. Dann las ich ganz gerne Lucky Lucke, Benjamin Bärenstark, Asterix (selbstredend), Attila, Boule & Bill, Isnogud, Percy Pickwick, Anatol (die spannenden Abenteuer des Nagers, von Raymond Macherot) und …. bizarrerweise auch die halbpornographischen Comics von Édika. Ich frage mich noch heute, was die bei der Stadbibliothek Bern sich dabei gedacht haben, Comics von Gotlib und Édika zu den anderen Comics für Kinder gestellt zu haben.
Und als Abschluss: Ich mochte wie so viele andere Kinder auch das YPS-Magazin. Am liebsten las ich darin Isegrims Abenteuer.
Ich fürche meine Kentnis der Deutsche Sprache ist leider beschränkt, ich bitte um Entschuldigung meiner Fehler.
Ich erinnere mich nicht mehr wann ich sie gesehen habe, aber auf dem Belgischer Französischem Frenseh war eine Sendung mit ein Unterhaltung mit Leloup. Am Ende der Sendung gabs ein kleines Ausschnitt aus der geplänte Zeichentrickfilm. Ich hatte es auf Video-Kassette, leider ist sie beim Umzüg verschwunden.
@Tjiki
Keine Sorge, man versteht dein Deutsch sehr gut!
Schade, dass deine Aufnahme verschwunden ist. Es wäre zu schön gewesen herauszufinden, ob es sich dabei um die Pläne der S.E.P.P. gehandelt hat oder ob Yoko Tsuno in Japan tatsächlich einmal bei Nippon Animation oder Telecom Animation im Gespräch war.
So ein toller Artikel, ein richtiger “blast to the past”. Ich las immer gern Yoko auf Französisch in der Schulbibliothek. Ein Anime davon wäre bestimmt toll.
Ich weiss, dieser Blog ist uralt – trotzdem, grüsse von der anderen Seite des Röschtigrabens =)