Warmherziger Slapstick-Humor (Jarinko Chie)
Es gibt Animes, die nicht nur im Westen beinahe unbekannt sind, sondern auch sehr gut sind. Isao Takahatas Jarinko Chie (Chie, die laute Göre) etwa, ein etwas älterer Kinofilm von 1981, der auf dem gleichnamigen Manga-Bestseller von Haruki Etsumi basiert.
Der Ort des Geschehens ist ein kleines Geschäftsviertel von Osaka. Chie ist eine schlagfertige Zehnjährige, die sich um die Familienkneipe kümmert und mit ihrem Taugenichts von Vater zusammenlebt. Sie wünschst sich nichts sehnlichster, als dass ihre Eltern eines Tages wieder zusammenkommen.
Jarinkos Vater Tetsu ist ein kleiner Ganove, der den ganzen Tag mit Glücksspielen verbringt und mit seiner grossen Klappe und Kraft sonst für viel Unruhe sorgt. Tetsu liebt seine kleine Tochter wirklich sehr, ist aber ihren wahren Gefühlen gegenüber unabsichtlich unsensibel und kriegt wegen seines unverantwortlichen Verhaltens von ihr auch nicht den nötigen Respekt (Jarinko nennt ihren Vater beim Vornamen “Tetsu” anstatt einem respektvollen “Otou-san”, was so viel wie “Vater” heisst).
Neben diesen mehr oder weniger realistischen Elementen der Handlung kommt noch ein vermenschlichter Kater namens Kotetsu hinzu, der es sich bei Jarinkos Restaurant gutgehen lässt und eine Art Freund für Jarinko wird. Eines Tages kreuzt ein örtlicher Yakuza-Boss mit seinem Kater Antonio beim Restaurant auf und will von Tetsu seine Schulden eintreiben. Es kommt zu einem kurzen Kampf zwischen den zwei Katern, bei dem Kotetsu dem Antonio eine “tödliche” Wunde zufügt: Kotetsu reisst ihm einer seiner Eier ab. Antonio verliert dadurch seine ganze “Manneskraft” und wird dann Opfer eines schwächlichen Hundes, den er einst tyrannisierte. Der Yakuza-Boss ist wegen des Verlustes seines heissgeliebten Antonios so traurig, dass er seine krummen Geschäfte aufgibt und selber ein Okonomiyaki-Restaurant eröffnet.
Mit so amüsanten Schilderungen aus der Handlung des könnte ich lange weiterfahren, denn einen klaren roten Faden gibt es im Jarinko Chie nicht, ausser dass Jarinko sich manchmal heimlich mit ihrer Muter Yoshie trifft und die Handlung langsam darauf hin ausläuft, dass die Mutter schliesslich wieder zur Familie zurückkehrt.
Eine Veränderung im Sinne der Figuren gibt es hier allerdings nicht – alles bleibt beim Alten. Es sind vor allem die netten Episoden aus dem Alltagsleben eines kleinen Geschäftsviertels und die lebendige Menschlichkeit der Figuren, die den Charme dieses Films ausmachen.
Im Grunde genommen lebt der Film dem Zuschauer das Leben von Menschen unter bescheidenen Lebensumständen während einer gewissen Periode der japanischen Geschichte vor. Man kann annehmen, dass die Zeit in Jarinko-Chie die Siebzigerjahre Japans sind. Es könnten aber auch genauso gut die Sechziger sein. Es gibt nur wenig Anhaltspunkte, die Rückschlüsse auf ein “modernes und schnellebiges” Japan jenseits eines kleinen gemütlichen Viertels erlauben. Ein grosser Vergnügungspark etwa, oder eine grössere Einkaufsmeile. Ansonsten scheint die Zeit im Viertel stillzustehen. Die Personen sprechen im heimischen Kansai-Dialekt, jeder führt sein bescheidenes Leben, jeder scheint jeden zu kennen und alle mögen die kleine Chie , fürchten sich aber vor Tetsu. In einer sehr lustigen Szene singt Chie sogar ein traditionelles Enka-Lied, welches das traditionell japanische Ambiente des Films weiter unterstreicht.
Artistisch gesehen ist Jarinko Chie ein wahrhaft hübscher Film. Die Characterdesigns mögen auf den ersten Blick etwas ungewohnt und auch beinahe hässlich erscheinen (man achte etwa auf die grossen Ohren), aber es sind die kleinen animierten Details, die es mir angetan haben. Es bewegen sich viele Dinge im Film, und die Bewegungen der Figuren wurden auch recht gut animiert. In der allerersten Szene mit Jarinko sieht man sie etwa beim Fächern eines Grills – ihre gesamte Körperbewegung wird da mit einer hohen Framerate detailreich ausgedrückt.
Abgesehen von der Animation des Films und der amüsanten Handlung hat es mir auch der originelle und warmherzige Slapstick des Films angetan. Chies Vater Tetsu sorgt für viele Lacher – etwa dann, als er Jarinko in der Klasse besucht und für viel Tumult sorgt. Chie selber ist mit ihrem erwachsenen Verhalten ziemlich niedlich und lustig zuzusehen.
Den einzelnen Figuren liehen übrigens damals bekannte Manzai-Komödianten ihre Stimmen. So haben etwa zwei kleine Jungs aus Jarinkos Klasse die Stimmen von zwei Erwachsenen, was zunächst recht befremdlich klingt, irgendwie aber doch richtig zum Ambiente des Films passt.
Gekauft habe ich die japanische Doppel-DVD zum Preis von 4700 Yen, die in der “Ghibli ga Ippai”-Reihe rausgekommen ist. Diese DVD hat im Gegensatz zu den bekannten Ghiblifilmen ab Nausicaä allerdings keine englischen oder französischen Untertiteln, sondern bloss einen japanischen Track. Jarinko Chie ist jedoch in Frankreich auf DVD unter dem Namen Kié, la petite peste erschienen, nachdem er dort sogar im Kino lief. Folgt ihr dem obenstehenden Link, könnt ihr dort auch einen Trailer der französischen Synchronfassung sehen.
Wenn ihr mal die Möglichkeit erhaltet, in den Film reinzuschauen, tut es unbedingt. Es lohnt sich wirklich.
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