Bewusster an Anime herangehen (Patlabor TV)
In letzter Zeit ist mir bei meinem Animekonsum ein Verhalten aufgefallen, das mich je länger je mehr stört: In der heutigen Zeit, in der beinahe jeder Anime problemlos runtergeladen oder gekauft werden kann, werden einzelne Animefolgen oder Filme/OAVs oft unbewusster als zu früheren Zeiten geschaut. Man tendiert dazu, Anime sprichwörtlich zu “konsumieren”, als ob es sich hierbei um eine beliebige Folge aus der Lindenstrasse handeln würde, die man am nächsten Tag wieder vergisst. Mit anderen Worten: Man schaut einfach zuviel Anime, als dass man sich – abgesehen von Inhaltsbeschreibungen für Blogs und Foren etwa – über das Gesehene gross Gedanken machen würde oder persönlich gewonnenen Erkenntnisse anderen mitteilen würde.
Ersetzt das “man” der obenstehenden Zeilen mit “ich”. In den letzten Monaten habe ich (zu)viele Anime geschaut und wusste nach einigen Tagen teils nicht mehr, was ich mir da sprichwörtlich “reingezogen” habe. Ein Burnout droht, und das ist gar nicht gut. Wenn ich bedenke, dass ich in meinen Anfangsjahren als Animefan einzelne Animefolgen oder ganze Serien mehrmals geschaut habe, um kleine Details in der Handlung und in der Animation aufzuschnappen und so aus ihnen persönlich Befriedigung und Erkenntisse für meinen weiteren Animegenuss zu gewinnen, so beurteile ich diese schleichende Tendenz in meinem Animeverhalten klar als negativ. Dass man es auch anders machen kann, beweisen zahlreiche Blogs im englischsprachigen Raum, die sich teils humoristisch mit den neuesten Serien auseinandersetzen, oder auch viel Gewicht gewisser Teilaspekten widmen wie der Handlung und Figuren einzelner Folgen.
Ich will damit nicht sagen, dass ich in Zukunft bewusst englische Blogger nachachmen werde. Dafür reicht meine Zeit nicht aus, und meine schriftliche Begabung hält sich für das genaue Beschreiben einzelner Folgen in Grenzen. Was ich eher zum Ausdruck bringen will, ist, dass ich in Zukunft mich wieder vermehrt bewusst mit dem auseinandersetze werde, was ich mir in Sachen Anime auch anschaue, und dass ich daraus gewonnene Einsichten und Meinungen auch stärker schriftlich festhalten will. Für dieses Vorhaben muss ich meinen Animekonsum auch stärker drosseln, damit es auch zu etwas wird, dass sich mit einem anderen Wort beschreiben lässt als mit “Konsum”.
Weiter fällt mir auf, dass ich wieder einmal eine Serie schauen sollte, die sich an ein älteres Publikum richtet – also weg vom Moe-Comedy Allerlei der letzten Zeit. Es wird dringend Zeit, dass mein Kosmos wieder zu brennen anfängt!
Zur guttuenden Abwechslung habe ich mich deshalb dazu entschieden, eine etwas älteren Animeserie genauer unter die Lupe zu nehmen. Das wäre Patlabor – The mobile Police.
Zunächst mal eine kurze Einführung ins Patlabor-Universum für all diejenigen, die noch nie was von “Patlabor” gehört haben: Mobile Police Patlabor (??????????) ist eine der erfolgreichsten Anime-Franchises der späten Achtziger und frühen Neunziger gewesen, die auf einem gleichnamigen Manga von Masami Yûki basiert und die aus zwei verschiedenen OAV-Reihen, vier Kinofilmen, einer 39-teiligen TV Serie und mehreren Romanen besteht. Die Franchise dreht sich, grob gesagt, um eine kleine Polizeitruppe, die im Tokyo der nahen Zukunft – in der grosse Arbeitsroboter namens “Labors” im Baugewerbe und im Verkehr eingesetzt werden – mit ihren eingesetzten Arbeitsrobotern für Recht und Ordnung sorgen. Der Titel “Patlabor” ist ein Akronym aus “Patrol” und “Labor”.
Die einzelnen Teile der Franchise spielen alle im selben Universum ab, können aber unabhängig voneinander gesehen werden. Die Reihenfolge besteht wie folgt: Zunächst erschien der Manga 1988 im Weekly Shônen Sunday, dicht gefolgt von der ersten siebenteiligen OAV-Reihe (1988-89) unter der Regie von Mamoru Ôshii und Szenarist Kazunori Itô. Ôshii und Itô waren auch für die nachfolgenden Spielfilme (1989 & 1993) und der zweiten 16-teiligen OAV-Reihe (1990-92) verantwortlich. Die Regie TV Serie (1989-90), über deren ersten paar Folgen ich in der Folge meine Gedanken schreiben werde, übernahm Naoyuki Yoshinaga, und um das Drehbuch der einzelnen Folgen kümmerte sich jeweils eine andere Person, unter anderem auch Ôshii und Itô.
Auch wenn Ôshii und Itô nicht die Hauptverantwortlichen aller Folgen der TV-Serie waren, so fällt mir ihr Einfluss sofort auf: Die beiden sind als Duo dafür bekannt, dass sie viel Raum für die kleinen Dinge des Alltagsleben geben, mit denen sich eine Figur auseinander setzen muss, was diese wiederum sehr vermenschlicht und realistisch macht. So waren beide etwa massgeblich dafür verantwortlich, dass aus dem Comedymanga Urusei Yatsura von Rumiko Takahashi eine satirisch angehauchten Slapstick-Comedy wurde, die teils gar ins Philosophische abdriftete und über die die Fans des Mangas geteilter Meinung sind.
Bei den ersten beiden Patlabor TV-Folgen finden wir das Markenzeichen von Ôshii und Itô wieder: Kleine Nebensächlichkeiten werden subtil in die Handlung eingeflochten, was dafür sorgt, dass selbst längere Actionszenen durch die Tücken des Alltags unterbrochen werden. Ôshii und Itô kümmern sich weniger um atemberaubende Action als vielmehr um das, was eine Figur realistisch und menschlich macht: Ihre Marotten und der Umgang miteinander. Beide sind am Alltag der Figuren interessiert, nicht an Action. So sieht man z.B. gleich in der ersten Folge Noa Izumi – die neue Polizistin der Patlabor Brigade 2 – hinter einem gestohlenen LKW hinterherlaufen bis sie merkt, dass sie diesen zu Fuss unmöglich einholen kann. Statt jetzt zu zeigen, wie Izumi gleich in ein Auto für die Verfolgungsjagd einsteigt, zeigen uns Ôshii und Itô, wie sie ganz zufällig an einem geparkten Roller vorbeirennt und sich dann ganz unbekümmert dazu entschliesst, es für die Verfolgung zu entwenden. Sie guckt den Roller an, schnappt ihn sich und entschuldigt sich dafür bei der anwesenden Wache, die etwas düpiert danebensteht, weil sie auf der Sektion noch nie eine Polizistin gesehen hat, erst recht nicht eine auf Verfolgungsjagd. Die ganze Szene ist kurz, unterbricht jedoch die laufende Actionszene und wirkt auf den ersten Blick zunächst “überflüssig”, ist sie aber nicht.
Das ist nur eines von vielen Beispielen welches unterstreicht, wie wichtig der Alltag im Patlabor-Universum ist. Ein zweites Beispiel ist Folge 3, in der es hauptsächlich darum geht, eine Nacht- und Nebelaktion vor dem Chefmechaniker geheim zu halten. Die Polizeibrigade der Sektion 2 und die Mechaniker sind auf einer künstlichen Insel im Hafen von Tokyo stationiert und somit weit weg vom nächsten Convinience Store oder Restaurant. Eines ihrer Hauptsorgen ist also, täglich ihre Mägen füllen zu können. Die Mechaniker setzen hin und wieder ein Polizeischiff zum Fischen ein, doch in dieser Folge läuft das Schiff fast auf Grund, und die Labors müssen das Schiff und ihre Fracht retten, was vor dem strengen Vorgesetzten verheimlicht werden muss, der gerade weg von der Station ist, aber jeden Moment wieder mit dem Auto zurückkommen kann. Sie versuchen dies ad-hoc, indem sie etwa die Zufahrtsstrasse zur Polizeistation mit einer Strassensperre versehen und mit dem Stau dafür sorgen, dass einige Minuten gewonnen werden können. Noch einmal, das muss man sich einfach vor den Augen führen: Polizisten setzen ihre technischen Hilfsmittel für ihre hungrigen Mägen ein, und sie versuchen das vor einem Vorgesetzten mit allerlei Mitteln zu verheimlichen. Das ist Satire vom Feinsten.
Das zweite was mir bei Patlabor auffällt, ist, dass alle Hauptfiguren liebenswerte Erwachsene sind, und das ist wirklich eine willkommene Abwechslung zu all den neueren Animes mit emotional stark gefärbten Jugendlichen in der Blütezeit ihrer Pubertät. Man merkt es der Serie einfach an, dass hier die Zuschauer nicht für dumm verkauft werden, sondern mit intelligenten Skripts bei Laune gehalten werden sollen. Jede der einzelnen Figuren im Patlabor-Universum hat ihre ganz eigenen Charakterzüge und Schwächen, die sie einzigartig machen.
Da wäre etwa Noa Izumi, die zur Sektion 2 gestossen ist, weil sie Patlabors mag. Sie ist sehr pflichtbewusst und nennt ihren eigenen Labor “Alphonse” (so nannte sie mal eines ihrer Haustiere). Sie fürchtet sich um jeden Kratzer, den Alphonse bei einem Einsatz abkriegen könnte. Ihr Co-Partner ist Shinohara Asuma, der 24-Jährige Spross vom Boss von Shinohara Heavy Industries, einem der weltweit grössten Fabrikanten von Labors und Zulieferer der SV2-Labors (die von den Polizisten eingesetzten Patrol-Labors). Asuma kennt die ganze Labor-Industrie wie seine Westentasche, und er ist generell ein begnadeter Taktiker für sein Alter. Asuma ist der Kopf des Duo und Izumi dessen Herz. Beide sind im Privatleben kein Paar, doch sie stehen sich sehr nahe. Weiter wäre da noch Isao Ôta, ein durchgeknallter Waffenfreak, der bei jedem Einsatz unbedingt seine grosse Labor-Wumme einsetzen will und auch sonst lieber mit dem Kopf durch die Wand rennt, oder Shinshi Mikiyasu, ein etwas zurückhaltender, scheuer Polizist, der als einziger der ganzen Sektion 2 Polizisten verheiratet ist und deswegen keinen so leichten Stand hat (seine Frau macht ihm das Leben teils sehr schwer).
Das grosse Highlicht der Serie ist für mich jedoch das Duo Captain Shiichi Gotô und Captain Shinobu Nagumo. Gotô ist der Chef der 2.Division von Sektion 2, also der Chef unserer Polizeitruppe, und sieht immer so aus, als wäre er etwas aus der Rolle. Der gute Herr ist jedoch extrem intelligent und weiss viele Dinge weit im voraus vor allen anderen, was ihm zu einem brillanten Taktiker macht. Manchmal macht er mehr den Eindruck eines gewieften Privatdetektivs als den eines Polizeichefs. Shinobu wiederum ist Captain von Sektion 1 (die wir kaum zu sehen kriegen) und eine kühle, sehr pflichtbewusste Chefin, die über Gotôs unorthodoxe Arbeitsmethoden oft nur den Kopf schütteln kann. Wir sehen die beiden in der Serie und den OAVs/Filmen oft am reden – das Verhältnis zwischen den beiden ist voller subtiler Sticheleien und Anspielungen, was ich sehr spannend finde.
Die Animationsqualität der einzelnen TV-Folgen ist nicht ganz so gut wie die der ersten OAV-Staffel (man merkt z.B., dass die Schattierungen der Figuren etwas einfacher ausgefallen sind und die verschiedenen Bewegungen auf weniger Cel-Ebenen stattfinden), aber sie ist für eine TV-Serie auch heute noch absolut in Ordnung. Der Animation, Character Designs und Musik merkt man an, dass sie teils von den gleichen Machern wie Urusei Yatsura oder Ranma stammt. Produziert wurde die Serie (wie auch die OAVs und die Kinofilme) von Headgear, ein kleines Team rund um Mamoru Oshii und Itô. Für die Musik war Kenji Kawai verantwortlich, und seine Vorlieben für Synthi-Streichermelodien erinnern an seinen Arbeiten zu Ranma 1/2 und Maison Ikkoku. Die Characterdesigns übernahm Akemi Takada (bekannt aus Urusei Yatsura, Kimagure Orange Road und Creamy Mami), was man der TV-Serie etwas weniger gut ansieht den OAVs (die TV-Serie lehnt sich stark an die Manga-Vorlage von Masami Yuki an). Ihre Artbooks zu Patlabor sind übrigens göttlich.
Ein Wort noch zum 1.Opening der TV-Serie, “Sono mama ni kimi de ite”. Ich mag das Lied sehr. Es ist nicht zuoberst auf meiner Hitliste meiner Alltime Favoriten, doch die Melodie ist ganz nach meinem Geschmack für rockige Poplieder aus den Achzigern/Neunzigern und in Kombination mit den Bildern gefällt es mir noch mehr.
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Ein bisschen OT, aber diesen Burnout-Effekt kenne ich nur zu gut – das Beste, was einem da passieren kann, ist eine bereits bestehende interessante Forum- oder Blogdiskussion zu einer Serie (wie es mir bei Honey & Clover, Ergo Proxy und Simoun passiert ist), dann nimmt man diese viel deutlicher wahr: Die Leute entdecken mehr Details als man selbst und inspirieren dazu, sogar mitzudiskutieren und sich selbst Gedanken zu machen. Obwohl die von mir genannten drei Serien nicht zu meinen Lieblingsserien gehören, finde ich im Nachhinein, dass ich sie viel besser kenne und mich viel intensiver mit ihnen beschäftigt habe als z.B. Paranoia Agent, das ich eigentlich mehr mag.
Hallo Sasa, das geht in Ordnung ^_^
Ich kann mich deiner Meinung anschliessen. Gerade Honey & Clover habe ich letztes Jahr mit einem Jahr Verspätung nachgeholt, u.a. weil ich eine alte Forendiskussion entdeckt habe und die darin geschriebenen Beiträge interessant fand. Es macht immer wieder Spass zu lesen, was andere in bestimmten Serien sehen. Daraus kann man Einiges Lernen, etwa auch, dass man schon früher auf andere hätte hören sollen ^_-
So ein Zufall, ich selber habe auch gerade angefangen, die Patlabor-TV-Serie zu schauen. Eine geniale Reihe, die wie viele andere Serien der Zeit einen Charme versprüht, den aktuelle Anime schwer toppen können. Aber das liegt wohl weniger an der Qualität als der eigenen Nostalgie…
Nostalgie für diese Art von Anime und deren Machart spielt sicher mit. Ich denke aber auch, dass uns ältere Animefans bei Patlabor die erwachsenen Figuren mit ihren Vorzügen und Marotten halt stärker ansprechen, als was diejenigen Figuren aktueller Serien bieten können. Ein Duo wie Gotô und Shinobu oder der eingefleischte Mechaniker (beinahe ein Otaku) mit seinem strengen Boss, sowas kriegt der Animefan heutzutage selten.
Erstmal ein kleiner Besserwisserkommentar: Patlabor TV hat 47 Folgen, und nicht 39. Auch ist es vielleicht für Einsteiger in Patlabor nicht schlecht zu wissen dass die zweite OVA den wohl wichtigsten Handlungsstrang der TV-Serie zuende bringt und daher nicht vor der TV-Serie gesehen werden sollte. ;)
Ansonsten wollte ich einfach noch allen, denen Patlabor gefällt die Serie Dai-Guard ans Herz legen. Auch in Dai-Guard sind alle Charaktere erwachsen und es wird sehr viel Wert auf die Beziehungen zwischen den Charakteren im normalen Firmenalltag gelegt. Insgesamt reicht die Serie zwar nicht an Patlabor heran, ist für mich aber eine der am wenigsten gewürdigten Serien der letzten zehn Jahre.
Danke für den Hinweis. Keine Ahnung, wie ich auf 39 Folgen gekommen bin (vielleicht hatte ich da irgendwie Nadia – Secret of blue Water im Hinterkopf). Über Dai-Guard habe ich auch nur Gutes gehört. Die US-DVDs sind bei DVDPacific schon mal auf meiner Wunschliste.
hallo!
vielen dank für diesen “kleinen” patlabor infobericht :)
ich selbst bin etwa seit 1997 patlabor fan. muß allerdings zugeben das ich die serien nicht komplett gesehen habe (ja, ich hab da noch ntsc-vhs davon XD).
patlabor würde ich aber jedem ans herz legen, besonders den ersten movie, welchen ich sehr gelungen und spannend finde :)
Hallo Yokohama!
Die beiden ersten Filme gefallen mir auch sehr. Mich überzeugt vor allem der zweite durch seine sehr beeindruckende Atmosphäre, intelligente Handlung und die perfekte Musik von Kenji Kawaii. Die Patlabor-Filme gehören für mich einfach in eine gutsortierte Animesammlung dazu ^^