In space no one can hear you scream
Kaum ein Film ist so einflussreich für die Filmgenres Science Fiction und Horror wie Ridley Scotts Alien (1979). Noch heute fasziniert die Geschichte um eine ganz unheldenhaft-menschliche Raumschiffbesatzung, die von einem unheimlichen Wesen aus einer fremden Welt bis auf eine Überlebende dezimiert wird. Die grosse Stärke des Films ist seine dunkle, albtraumhafte Atmosphäre, für die er sich sehr viel Zeit nimmt. In Alien sind die Einstellungen nicht bloss einzelne Filmbilder, sondern sie scheinen aus dem menschlichen Unterbewusstsein zu stammen – sie schöpfen ihre Kraft aus tiefsten menschlichen Urängsten. Der Planet, auf dem die Besatzung des Raumschiffs Nostromo landet, ist dunkel, kalt und vermeintlich ohne Leben. Das braun-dunkle Innere der Nostromo, wo sich der Grossteil des Films abspielt, sieht aus wie eine alte Müllhalde mit engen Tunnels und Schächten. Das verlassene Raumschiff, in dem einige Crewmitglieder das Alien finden, hat etwas Organisches an sich; gleichzeitig wirkt es alt und verlassen, und damit auch sehr gothisch. Schliesslich noch das Alien, ein extrem bedrohliches Monster ohne Gesicht. Ein schwer definierbares Zwitterwesen und Meisterstück des Schweizers Surrealisten H.R. Giger.
Ich gebe es ohne Umschweife zu: Alien ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme; schon viele Male gesehen, noch nie an ihn sattsehen. Das hat zum einen mit den bereits erwähnten Stärken des Films zu tun, zum anderen auch mit der grossen Spannung um das Schicksal der Raumschiffbesatzung und der von Jerry Goldsmith komponierten Musik, welche die visuelle Unheimlichkeit und klaustrophobische Atmosphäre perfekt unterstreicht. Menschliche Urängste wurden im Kino selten so gekonnt zelebriert wie hier.
Was hat das Ganze jetzt mit Anime zu tun, und wie komme ich auf das Thema? Nun, heute konnte ich Alien zum ersten Mal im Kino sehen, im Rahmen einer Filmreihe “Psychoanalyse und Film”. Den Grossteil der Besucher machten intellektuelle Stadtmenschen im gehobenen Alter aus, die, so hörte ich es aus der anschliessenden Diskussion über den Film heraus, beruflich oder hobbymässig was mit Psychoanalyse zu tun hat. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, einer der jüngsten Zuschauer im Saal zu sein und beobachten zu können, wie die unwissenden Zuschauer auf den Film reagieren. Wenn ein Mini-Alien sich seinen Weg durch die Eingeweiden eines Crewmitglieds bohrt und dabei eine Sauerei hinterlässt, braucht es starke Nerven. Das Unbehagen der Zuschauer während dieser einen berühmten Szene war jedenfalls im Saal deutlich spürbar, und auch sonst hat der Film ihnen richtig Angst aber auch Respekt eingeflösst.
Nach dem Film gab es einen kurzen Vortrag einer Journalistin und Psychoanalytikerin, die den Film auf freudianische Art und Weise kurz analysierte. Alien fordert mit seinen Konstrasten, Namensgebungen (“Mother” für den Bordcomputer) und unkonventionellen Genderrollen eine psychoanalytische Lesart geradezu heraus. Die daran anknüpfende Diskussion war teils interessant und auch amüsant. So glaubte eine Zuschauerin, in Ripleys Beziehung zum Kater “Jones” einen sexuell unterschwelligen Ton erkennen zu können; rote Katzen seien in Literatur und Märchen prinzipiell immer Kater. Eine andere Person erklärte, einer der grössten Ängste, die der Film auslöse, sei der Kontrast zwischen Lebendigem und Totem und der Wandel zwischen diesen beiden Zuständen (Tiefschlaf, Aufwachen, Koma, u.s.w.)
Angst und bedrohliche Atmosphäre, darauf will ich eingehen: Mir ist aufgefallen, dass ich beim Schauen eines Anime eigentlich noch nie echte Angst verspürt habe. Jedenfalls nicht diese Art von Angst, wo man als Zuschauer permanent angespannt ist und das eigene Herzklopfen spürt – etwas, das Alien bei mir perfekt erreicht, aber auch der Nachfolgefilm AlienS oder Spielbergs Thriller Jaws. Vielleicht liegt es daran, dass man bei Anime, bedingt durch die Künstlichkeit des Mediums, mehr Abstand nimmt als bei Realfilmen, wo man sich mit den menschlichen Darstellern unbewusst schneller zu identifizieren versucht?
Eine bedrohliche, unheimliche Atmosphäre erzeugen, das hingegen erreichen einige Animes ganz gut. Ich denke da an Mamoru Oshiis Beautiful Dreamer und besonders an Angel’s Egg (1985). Ein weiterer Kandidat in meiner persönlichen Hitparade ist das Sciencefiction Drama Now and Then, Here and there (1999), das die Unmenschlichkeit und Verzweiflung der Protagonisten gut zum Ausdruck bringt. Oder Katsuhiro Otomos Akira mit seiner von Blade Runner inspirierten Megalopolis Neo-Tokyo. Doch wie schon gesagt, wirkliche Angst habe ich bei diesen Filmen keine verspüren können. Höchstens eine leichte Anspannung, wie etwa bei Higurashi no Naku koro ni (2006), wo man nie weiss, wann eine niedliche Lolita plötzlich zu einer unkontrollierten Killermaschine mit grässlicher Fratze wird.
A propos Alien: Wie gross ist sein Einfluss in Anime spürbar?
Die alte OAV “Lily C.A.T.” soll ziemlich stark von Alien abgekupfert haben. Selber habe ich ihn noch nicht gesehen. Ob die OAV was taugt?
Ein anderer Anime, der deutlich von AlienS inspiert ist, ist Dirty Pair – Project Eden. Da kommen versteinerte Mutanten vor, die zum falschen Zeitpunkt lebendig und schleimig werden. Später machen sie gar einen Wandel zu einem Zwitterwesen durch, und so greift dieser Anime nicht nur den Einfall eines unheimlichen Wesens zurück, sondern greift auch die darunter liegenden freudianischen Konzepte auf – zwar durchaus plakativ, aber immerhin tut er es. Zu guter Letzt haben sich die Macher auch einen Spass daraus gemacht, Yuri eine Alien-Tarnung zu verpassen.
Ah, hör mir auf mit Alien. ^^;
Hm, mal überlegen, ich glaube ich hab auch noch nie bei einem Anime so richtig “Angst” verspürt. Mir fällt nichtmal etwas annährend gruseliges ein. Liegt vielleicht auch da dran dass ich mir generell keine solchen Sachen ansehe, jedenfalls nicht wenn’s irgendwas mit Monstern, Schleim oder Splatter zu tun hat. Dann lieber psychologischer Horror, den mag ich recht gern, aber da hab ich dann meistens auch keine Angst. ;)
Ist der Mini-Alien nicht ein klares Phallus-Symbol? (zomg)
Lily C.A.T. ist bei mir schon ewig her, ich würde es mal ins Mittelmaß einordnen. Es ist mir weder besonders gut in Erinnerung geblieben, noch hab ich es geistig bei den eher schlechten Sachen, die ich “damals” gesehen habe (M.D. Geist und Konsorten), einsortiert.
Project Eden ist cool – Wattsman benutzt GERINGELTE KABEL, wo findet man sowas heutzutage noch?
@Mitch
Die an Wattsman Händen und Schläfen angeschlossenen Kabel haben einen cyberpunkmässigen Charme, wie man ihn so heute nicht mehr findet. Das gefällt mir.
@fyl
Das habe ich so nie gesehen; das erwachsene Alien mit seinem herausklappbaren Gebiss hingegen ist phallisch angehaucht ;-)
@Suzu
Alien ist sehr, sehr psychologisch; Blut und Sauereien gibts nur selten zu sehen. Eines Tages bringe ich dich dazu, den Film zu sehen. Ich versuchs ;-)
@Ataru:
[Achtung Spoiler-Gefahr!] Kann man das Ende von Alien 3 gender-mäßig so interpretieren, dass Ripley, die bereits durch Steuerung von Exoskeletten, Anwendung übergroßer Feuerwaffen und Kurzhaarfrisur ein derartiges Übermaß an maskuliner Symbolik akkumuliert bzw. feminine Qualitäten (e.g. Tod des Mädchens aus Alien 2) verloren hat, dass sie angesichts des maskulinen Ultimo (die Geburt eines Penis in Form eines Mini-Aliens) die Selbstzerstörung wählt, um ihre endgültige Mann-Werdung zu verhindern.
Ripley als SendbotIn des Feminismus? Oder sollte ich einfach nur schlafen gehen? ;)
Interessante Interpretation, fyl, trotz Übernächtigung, wobei ich da etwas anderer Ansicht bin ;-) Ripley verliert nie wirklich ihre femininen Qualitäten, auch in Alien 3 nicht. Vielmehr verkörpert sie durch die Quadrologie hindurch ein neues, flexibel Bild von Feminität. Eine Frau, die sich schwierigsten Umständen anpassen kann und muss. Ihre Genderrolle beschränkt sich dabei nicht auf ihren femininen Körper und äusserliche Symbolik, sondern zeigt sich auch vor allem in ihrem unabhängigen Verhalten und dem Umgang mit Technologie. Ihre selbstgewählte “Erlösung” sehe ich mehr darin, dass sie sich (als zukünftige Mutter) weigert, ein Monster zu gebären. Wobei man hier beim Alien durchaus interpretieren kann, ob es ein Phallussymbol verstanden werden sollte. Ich sehe das Ding schlicht als eine Art monströser Embryo, den sie sich schleunigst entledigen will ^^;
Lily CAT ist cool, wenn man Trash mag (oder halt so Sachen wie Genocyber)…
Dirty Pair – Project Eden war der BESTE Dirty Pair Movie :D
ah, Angel’s Egg wird mal irgendwo erwähnt -> äußerst lobenswert! Schönes Bildchen *zwinker* *zwinker* XD
@Yuki
Ok, ich gebs zu: Ich habe das Angel’s Egg Bild von deiner Seite ohne zu fragen geklaut, sorry ^^’
http://tinyurl.com/6d6tvu
Falls du meine Abhandlung über Zeit im Spielfilm noch nicht kennst, lies mal rein ;) http://donmai.ch/sonstiges/angels_egg_zeit.html
@Mitleser
Schaut in Yukis Seite rein; die Animekritiken dort sind wirklich gut geschrieben und decken eine Vielzahl an Genres ab – sowas muss es in der deutschen Blogspäre mehr geben.
@Ataru: lol, ich hab deine Abhandlung zufälligerweise sogar schon gelesen gehabt ;) Sogar damals im Zusammenhang, als ich das Review geschrieben hab :D…war interessant!
und das Bild kannste ruhig klauen, war eigentlich nur neugierig, ob es tatsächlich von meiner Seite ist. hui, immerhin treibt sich da überhaupt Jemand rum :D
Deswegen auch Danke für die Werbung ;)
Allerdings ein spannendes Thema. Wäre wirklich interessant herauszufinden, was in Realfilmen den Horror möglich macht und in Zeichentrickfilmen nicht. Und wie sieht’s da mit 3D-Animationsfilmen aus, braucht man auch da einen glaubwürdigen Indentifikationspunkt und steht uns da das Uncanny Valley im Weg?
Ich denke nicht, dass die 3D-Technik alleine schon ein Hindernis für das Verspüren von Angst oder Anspannung in einem Animationsfilm ist. Spannend sind gute 3D-Animationsfilme ja jedeweil. Es ist eher so, dass bisher kein 3D-Animationsfilm eine wirklich bedrohliche Atmosphäre wie in einem klassischen Horrorfilm ausstrahlt. Zumindest ist mir kein Film bekannt.